The Music Makers, op. 69
Stichpunkte zur Entstehungsgeschichte
Mai 1912
Elgar beginnt die Komposition an „The Music Makers“ für das Birmingham Festival. Er setzt die „Ode“ von Arthur O’Shaughnessy – für ihn gänzlich untypisch – ohne jegliche Veränderung oder Kürzung um.
25. Mai 1912
Alice Elgar schreibt in ihr Tagebuch: „E. nicht zufrieden mit dem Werk – […].“ (zit. n Moore, S. 633)
Juni 1912
Elgar Stimmung verbessert sich. Er sieht sein neues Werk in einem positiveren Licht.
18. Juli 1912
Elgar beendet die Arbeit am Klavierauszug.
19. Juli 1912
Nach Abschluss der Komposition verfällt Elgar in seine übliche „postpartale Depression“. In einem Brief an Alice Stuart Wortley schreibt er:
„Gestern war der übliche schreckliche Tag, der unvermeidlich naht, wenn ich ein Werk vollendet habe: es war immer so […]. Ich bin allein über die Heide gewandert – es war bitterkalt – ich habe mich in einen dicken Mantel eingewickelt & setzte mich für zwei Minuten, Tränen rannen aus meinen kalten Augen und ich verabscheute die Welt, - kam wieder nach Hause – leer & kalt – wie hasste ich es, etwas geschrieben zu haben: also ging ich wieder hinaus – leer sehnte ich mich danach das Werk meiner Hände zu zerstören – alles umsonst.“ (zit. n. Moore, S. 638)
August 1912
Proben für die Uraufführung der „Music Makers“ in Birmingham. Elgars psychische Verfassung hat sich nicht sonderlich verbessert. An Alice Stuart-Wortley schreibt er am 29. des Monats:
„[…] mittlerweile habe ich jegliches Interesse daran [= am Erfolg, Anm. der Verf.] verloren. Ich habe meine Seele im Konzert, in Sym II & in der Ode ausgeschrieben & das weißt Du & meine Lebenskraft scheint nun in ihnen zu stecken - & ich bin glücklich darüber – in diesen drei Werken habe ich mich gezeigt.“ (zit. n. Moore, S. 639)
1. Oktober 1912
Uraufführung der „Music Makers“ im Rahmen des Birmingham Festivals. Als zweiter Programmpunkt des Abends erklingt die britische Erstaufführung der 4. Symphonie von Jean Sibelius unter Leitung des Komponisten.
Die Aufnahme ist sehr mäßig, wobei sich die Kritik sowohl am Text als auch an Elgars Idee, das Werk mit Zitaten aus seinen früheren Werken zu durchsetzen, reibt. In einem heute leider nicht genau zu identifizierenden Zeitungsartikel heißt es beispielsweise:
„Was an den ‚Music Makers’ enttäuscht, ist das realitätsferne Thema. Arthur O’Shaughnessys Ode feiert die Fähigkeiten der Dichter dieser Welt, die Schicksale ihrer Mitmenschen nach ihren Idealen zu schmieden. […] Der Trugschluss des Gedichtes liegt selbstverständlich in der Tatsache, dass Dichter nichts mit dem ‚Lehren von Humanität’ oder mit dem Aufbau von Imperien oder Städten zu tun haben, sondern ausschließlich mit der Verzauberung der feineren Sinne und der Bereicherung der Seele. Man kann darum auch nicht erwarten, dass zu dieser Ode gesetzte Musik große Kraft oder Wahrhaftigkeit mitbringen kann.“ (zit. n. Moore, S. 639)
Londons bekanntester Musikkritiker Robin Legge schreibt am 2. Oktober 1912 im „Daily Telegraph“:
„Die Musik ist oft von exquisiter Schönheit, doch […] die grundlegende Stimmung widerspricht dieser – diese Atmosphäre der Sehnsucht, die sich mit einem zuversichtlichen Klima geballter Kraft abwechselt und die schließlich in die Wiederkehr des vorherrschenden Mangels an Zuversicht zurückfällt – gerade so, als wäre das Thema zu groß, als dass es der Komponist in eine musikalische Form hätte bringen können.“ (zit. n. Moore, ebd.)
In einer in Brighton erschienen Zeitung heißt es schließlich:
„Die in Birmingham von Sir Edward Elgar vorgestellte neue Komposition ‚We are the Music Makers’ ist kein Fall von ‚altem Wein in neuen Schläuchen’. Es sind die Schlückchen, die er uns vom alten Wein nippen lässt, die zeigen, dass es dem neuen an Geschmack und Bouquet mangelt.“ (zit. n. Moore, ebd.)
Die Kritik hat sich gehalten. 2004 schreibt Jerrold Northrop Moore in seiner „kleinen“ Monographie: „Das Ergebnis [= der vielen Selbstzitate, Anm. der Verf.] ist, dass ‚The Music Makers’ durch und durch krampfhaft wirkt. Das Werk zeigt keine bezwingende musikalische Logik. (Moore 2004, S. 171)
Geradezu polemisch formulieren es Meirion Hughes und Robert Stradling in ihrer sehr kontrovers aufgenommenen Studie zur „English Musical Renaissance“:
„Sie [= die „Music Makers“] repräsentieren eine Erklärung der persönlichen Größe ihres Komponisten, und zwar auf eine dermaßen marktschreierische Weise, die selbst Richard Strauss abgeschreckt hätte. […] Das geradezu anmaßende persönliche Element in ‚The Music Makers’ hat sichergestellt, dass sie kaum einmal zur Aufführung kommen – sie verschwanden in einer Gegend der Musik, die man mit dem Keller der Royal Academy vergleichen kann – […].“ (Hughes/Stradling, S. 258 f.)
Tatsächlich gibt es nicht allzu viele Forscher, die dem Werk positiv gegenüberstehen. Diana McVeagh beispielsweise sieht in der Zitattechnik „Elgars musikalische und spirituelle Autobiographie.“ (McVeagh 2004, S. 62)
Daneben ist Michael Kennedy einer der vehementesten Verteidiger des Werkes:
„Die Kritik an der Musik ist oft aus der Kritik an O’Shaughnessys Gedicht hervorgegangen, das – obwohl es sicherlich kein bedeutender Text ist – doch nicht schlechter ist als andere, die von Musikern zur Vertonungen herangezogen worden sind. Die andere große Kritik an ‚The Music Makers’ betraf Elgars Nutzung von Zitaten aus seinen anderen Werken, wobei mir nicht klar ist, was daran per se tadelnswert sein soll. […] ‚Flitterhaft’ und ‚billig’ sind die abschätzigen Begriffe, mit denen diese Kantate beschrieben worden ist, doch finde ich sie weniger schwach komponiert, sondern erlebe sie als originelle Vertonung des Gedichtes und als eines von Elgars gewinnendsten und ungerechtfertigt unterschätzen Werken.“ (Kennedy 1968, S. 211 f.)
Wunsch und Wirklichkeit
Elgar komponierte seine Kantate „The Music Makers“ zu einem Zeitpunkt in seiner Karriere, den er selbst als ausgesprochen schwierig erlebt haben dürfte. Nach dem fulminanten Erfolg der ersten Symphonie 1908 war die Aufnahme seines Violinkonzertes (1910) nicht mehr einhellig positiv gewesen. Die Zweite Symphonie schließlich war im Wesentlichen ein Achtungserfolg. In seinem jüngeren Elgar-Buch bringt Michael Kennedy die Lage prägnant auf den Punkt, wenn er schreibt: „Der Elgar-Boom war vorbei.“ (Kennedy 2004, S. 129)
Elgars Popularität hatte ihren Zenit um das Jahr 1911 herum überschritten und sein Stern begann erkennbar zu sinken. Dass Elgar dies verborgen geblieben wäre, ist mehr als unwahrscheinlich. Sicher, dass er dazu neigte, weniger enthusiastische Publikumsreaktionen als im Grundsatz ablehnend zu deuten, war anscheinend ein Teil seiner Persönlichkeit (wobei übrigens nicht eindeutig zu klären ist, in welchem Verhältnis in diesem Zusammenhang Pose und tatsächliches Erleben standen). Doch seit dem Violinkonzert hatte er den Hinweis auf das Verblassen seines Rufes – er hatte nun seit gut 10 Jahren als der bedeutendste Komponist des Empires gegolten - auch immer deutlicher ganz offen und schwarz auf weiß bekommen.
Dazu kam, dass Elgar ja auch nicht entging, dass sich eine neue Art von Musik in Großbritannien und Europa Raum zu schaffen begann. Mit Debussys Musik, der seine großen Orchesterwerke mehr oder minder parallel zu Elgar schuf, konnte er wenig anfangen. Was sollte er erst von Strawinsky halten, was von Schönberg? Auch Sibelius’ Vierte, die in Großbritannien erstmals zusammen mit den „Music Makers“ aufgeführt worden ist, war stilistisch so ganz anders als das, was er selbst als Komponist vertrat. Elgar bemerkte die „Brüchigkeit dessen, was er sich aufgebaut hatte.“ (Mundy, S. 139) Seine Musik war „old-fashioned“ geworden.
All das ging an seiner Gattin Alice vollständig vorbei, die sich endlich, nach Jahren der harten Arbeit an Edwards Karriere, in der „Gesellschaft“ angekommen sah. Ihr Mann war der Nationalkomponist des Landes, Kritik übersah oder ignorierte sie. Sie war nun Lady Elgar und strafte somit jene Lügen, die ihr zum Zeitpunkt ihrer Heirat ein trauriges, gesellschaftsfernes Leben an der Seite eines mittellosen Komponisten prophezeit hatten. Entsprechend ihrem Selbst- und Standesbewusstsein wollte Alice nun Hof halten. Ein riesiges Haus in Hampstead wurde gekauft und eingerichtet. Die Tatsache, dass das Geld knapp war, ja kaum reichte, um das Anwesen einzurichten, ignorierte sie ebenso wie den Umstand, dass das ganze Unternehmen „Severn House“ nur zu Stande kommen konnte, weil Familie und Freunde nicht unerhebliche finanzielle Unterstützung leisteten. Elgar hatte kein wirkliches Interesse an dergleichen – er wäre lieber wieder in Worcestershire gewesen.
Zwischen Wünschen und der Realität klaffte in jenen Jahren offenkundig ein großer Graben.
Dass sich Elgar mit den „Music Makers“ zu diesem Zeitpunkt einem Text zuwandte, der die zentrale Bedeutung des Musikers für die gesellschaftliche Ordnung in mäßigen Versen pries, die Elgar ungewöhnlicherweise auch nicht bearbeitete, scheint aus dieser Situation heraus durchaus nachvollziehbar zu sein. Der Musiker – das ist der träumende Visionär, der Kreative, der Königsmacher, der Weltenerbauer, der Weltenvernichter, der die Gesellschaft Zusammenführende, der stets Glorreiche. Natürlich ist er auch – O’Shaughnessy bedient selbstverständlich den romantisch-byronischen Topos – nicht ganz Teil der Gesellschaft, vom „gewöhnlichen“ Menschen abgesetzt, einsam, auf sich selbst zurückgeworfen. Aber das gehört dazu, das hat Stil.
Elgar hatte sich schon seit seiner Kindheit als Träumer empfunden (nicht umsonst nennt Northrop Moore sein jüngeres Elgar-Buch „Elgar: Child of Dreams“). Das Gedicht über die „Dreamer of Dreams“, das deren nicht genug hervorzuhebende Wichtigkeit, ja deren Unverzichtbarkeit lauthals apostrophierte, muss Elgar, der diese seine (vermeintliche) Bedeutung und Unverzichtbarkeit gerade am Horizont versinken sah, unmittelbar angesprochen haben.
Konsequenterweise komponiert Elgar in diesem Moment seines Lebens ein rückwärts blickendes Stück Musik, ein Stück Musik, das an seine frühen Kompositionen für Chor und Orchester erinnert (The Black Knight, Caractacus, King Olaf etc.), mit denen er in Worcester und Umgebung als junger und aufstrebender Komponist seine ersten größeren Erfolge gefeiert hatte. Ein nach vorn blickendes Werk war zu diesem Zeitpunkt gar nicht möglich. Tatsächlich erscheint es vor dem Hintergrund der Kompositionssituation durchaus nachvollziehbar, dass Elgar auf die Idee kam, seine Komposition um Zitate aus seinen bis dato geschaffenen Werken herum zu spinnen. Heute wird der Komposition schnell vorgeworfen, Elgar versuche auf mehr oder minder verzweifelte Weise dem mittlerweile ihm nicht mehr so recht gewogenen Publikum auf streckenweise schon fast grotesk medleyhafte Weise vor Augen bzw. vor Ohren zu führen, was er in seiner Rolle als der der menschlichen Gesellschaft verpflichtete „Music Maker“ und „Dreamer of Dreams“ für eben diese Gesellschaft geleistet hat.
Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass das die Ode O’Shaughnessys jenen Zug in Elgars Charakter ansprach, den Matthew Riley „nostalgic imagination“ nennt. Es ist der Blick zurück, der Blick vom „land of lost content“ zurück in eine vermeintlich bessere Vergangenheit, der in Elgars Werk an vielen Stellen, in „The Music Makers“ aber ganz besonders deutlich – vielleicht sogar ein bisschen zu deutlich – zu Tage tritt.
Arthur O'Shaughnessy: Ode (1874) |
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© Wolfgang-Armin Rittmeier |